Apokalypse der Füße Teil 2

Auch wenn der letzte Satz im Post „Apokalypse der Füße“ ein guter Schlusssatz war, hab ich mir noch ein paar weitere Gedanken dazu gemacht. Es sprudelt einfach aus meinen Fingern, und ich kann nicht damit aufhören 😀

Früher habe ich auch immer gedacht, dass das Shirt und die Hose(beim Laufen) vergleichsweise egal ist, ich aber niemals an den Schuhen sparen würde. Obenrum schwitze ich vielleicht ein bisschen mehr, die Klamotten saugen sich mehr mit Wasser voll, oder hat (beim meinem Lauftempo komplett zu vernachlässigen) ein bisschen mehr Windwiderstand. Außer bei starkem Regen alles relativ egal, und meinen ersten Marathon habe ich auch bei strömendem Regen mit Baumwollshirt überlebt – dann halt mit eng anliegender Gewichtsweste 😀 Das war auch kein Drama. Bei meiner Oberbekleidung habe ich immer Wert darauf gelegt, dass sie mir gefällt – mit „Farbe vor Funktionalität“-Entscheidungen habe ich schon den ein oder anderen Verkäufer und Sports-Freund zum Kopfschütteln gebracht. Aber bei den Schuhen habe ich immer höchsten Wert darauf gelegt, dass „Qualität und Funktionalität“ stimmen (und so lange sie nicht rosa waren oder glitzerten, die Farbe hinten angestellt). Denn schließlich läuft alles über die Füße, und ich will mir ja nicht die Gelenke kaputt machen, und so weiter – die Gedanken kennt sicherlich jeder (Läufer). Ach. Hätte ich mir doch nur damals schon mal etwas tiefergehende Gedanken dazu gemacht, WIE Schuhe eigentlich sein sollten, welche Funktion sie erfüllen sollen, um „funktionell“ zu sein. Oder wenn ich mir nur mal ein paar Minuten Zeit genommen hätte, um zu überlegen, was funktionell an dieser Stelle eigentlich bedeuten soll. (Hab ich mittlerweile gemacht, das ist aber so umfangreich geworden, dass es dazu einen eigenen Eintrag gibt 🙂 ). Aber natürlich ging es mir da anfangs wie fast allen anderen: Ich habe die Erklärungen zu den ganzen Stützen und Dämpfungseigenschaften erst mal ohne etwas zu hinterfragen geglaubt. Hörte sich ja auch irgendwie einleuchtend an. Und wenn man gerade ein Läuferzipperlein hat, das man loswerden möchte, glaubt man doch nur zu gerne, dass der Schuh das schon richten wird. Und auch präventiv gedacht funktionieren diese Argumente leider erschreckend gut: Bevor man riskiert, später Probleme zu bekommen, nimmt man doch mal lieber den „funktionelleren“ Schuh…

Zum Glück habe ich aber recht schnell gemerkt, dass ich mich mit leichten Schuhen mit wenig Dämpfung einfach wohler fühlte – leichtfüßiger, agiler und wendiger, als wenn meine Füße in vergleichsweise schweren, globigen Tretern steckten. Deshalb habe ich mich in meiner aktiven Läuferkarriere oft mit für das Terrain völlig untypischem Schuhwerk bewegt. „Ich mag das direkte Gefühl unterm Fuß“, war meine Erklärung, wenn ich dem verdutzten Schuhverkäufer erklärte, dass ich bitte einen Schuh ohne Pronationsstütze und mit möglichst wenig Dämpfung möchte – um damit überwiegend auf Trails zu laufen. Bei einem mehrtägigen Trail-Rennen war ich sogar mal Titelthema der Presse -Nicht, weil ich gewonnen hätte, sondern weil meine minimalistischen Schuhe unter all den anderen dick gedämpften und tief profiliert genoppten Sohlen deutlich herausstachen. „Rutschst du auf den nassen Wurzeln nicht total“  oder „tun dir nicht die Füße weh, wenn du auf spitze Steine trittst“ wurde ich nicht nur von den Reportern, sondern auch oft von anderen Läufern gefragt. Ich weiß allerdings nicht, wer verwunderter war: Sie über meine Schuhe, oder ich über ihre Frage.

Meine Antwort: „Keine Ahnung. Auf die nassen Wurzeln und spitzen Steine trete ich ja nicht drauf.“

Für anspruchsvolle Untergründe hat die Schuhindustrie (sogar in meinen Augen 😉 ) tolle Entwicklungen auf den Markt geworfen, die es uns erlauben, in fast allen Situationen sicher zu Fuß unterwegs zu sein. Früher bin ich mit meinem Bruder vereiste Skipisten hochgerannt (und danach mit lautem Gejohle wieder runter gekugelt). Selbst das geht mit entsprechenden Schuhen. Und natürlich hatte ich für Läufe in alpinem Gelände, wo es über riesige Geröllfelder und Wurzelteppiche geht, auch diverse Trailschuhe am Start – und war super dankbar, nicht für jeden einzelnen Schritt 110% Aufmerksamkeit zu brauchen, sondern mich mit auch auf meine Schuhe verlassen und die Landschaft genießen zu können.

Nur halte ich persönlich das komplette Anti-Rutsch-Feuerwerk für einen Lauf im schönen Pfälzerwald einfach für ein bisschen übertrieben. Da trainiere ich doch lieber meine Auge-Fuß-Koordination und suche mir eine gute Spur – dann kann ich auch mit weniger Dämpfung die Trails hoch und runter flitzen.

Dass dabei die Fußmuskulatur einen Haufen Arbeit leisten kann und darf, ist sicher ein Grund dafür, dass meine Füße gar nicht mal schlecht dastehen. Ich habe noch ein vernünftiges Quer- und Längsgewölbe, strukturell und funktionell vorhandene Fußmuskulatur und keine verformten Zehen. Es hätte nach so vielen Kilometern in Lauf-, Rad- und sonstigen Sportschuhen wirklich schlimmer kommen können. Neben dem intuitiven Hang zu minimalistischen Schuhen kommt mir an dieser Stelle auch zu Gute, dass ich schon immer gerne barfuß gelaufen bin und als Kind gerne die „zieh deine Hausschuhe an“-Aufforderungen ignoriert habe.

Zwei Einschübe an der Stelle:

  • Erstens – sorry Mama 🙂
  • Zweitens: Tut euren Kindern einen ganz dicken langfristigen Gefallen und lasst sie barfuß laufen! Rutschsocken helfen genauso gegen kalte Füße, und für draußen gibt es auch für die ganz Kleinen schon richtig coole Barfußschuhe.

Obwohl meine Füße im Vergleich zu anderen wohl „gut trainiert“ sind, finde ich den Zustand ziemlich desolat. Auf jeden Fall ist es eine Form von Reha-Training – zwar nicht nach einer Verletzung, dafür nach jahrelangem Vernachlässigen. Damit meine ich, dass ich Dinge WIEDER lernen muss, die eigentlich ganz normal sein sollten. Es fiel mir beispielsweise anfangs gar nicht mal so leicht, alle Zehen entspannt liegen zu lassen, und NUR die linke Großzehe anzuheben. Erst mal musste ich richtig darüber nachdenken, wie ich die Großzehe ansteuern kann, und welchen Muskel ich für diese Bewegung aktivieren muss. Probiert das nicht nur gerne mal aus, sondern TRAINIERT das mal. Bitte J Kleine Warnung vorweg: Man kommt sich sehr seltsam dabei vor, und es sieht auch verdammt lustig aus, wenn man höchst angestrengt und konzentriert auf seine Füße starrt und sich absolut nichts bewegt. Das wird aber ganz schnell besser, und dann ist es eine Kleinigkeit, die man jederzeit zwischendurch machen kann – natürlich nicht nur für die linke Großzehe.

„Trainingsplan“:

  • Stufe 1: Die Großzehen einzeln bewegen. Das kriegt man noch ganz gut hin
  • Stufe 2: Die vier kleinen zusammen anheben, dabei die Großzehe entspannt liegen lassen
  • Stufe 3 (für Profis): Die „Zeige-Zehe“ (und/oder jede beliebige andere) einzeln anheben

Warum ist das wichtig?

  • Die Füße sind unser „Standpunkt“. Damit tragen sie zum einen unser Gewicht, und wenn wir das durch einen gesunden Stand optimal verteilen, tun wir unseren Füßen und dem ganzen Körper einen großen Gefallen. Eine sinnvolle Kräfteverteilung im Fuß wirkt Wunder gegen Rücken- und Gelenksschmerzen im ganzen Körper
  • Über die Füße halten wir das Gleichgewicht, wenn wir die Zehen (im Idealfall sogar einzeln) ansteuern können, haben wir einen deutlich sichereren Stand.
  • Für alle Bewegungsmuster, bei denen die Füße Bodenkontakt haben (also zum Beispiel beim Stehen, Gehen, Laufen, Springen, Skifahren, Klettern, …) sind flexible und kräftige Zehen Gold wert. Idealerweise Fächern sich Zehen nämlich beim Bodenkontakt auf (wenn man sie nicht in Schuhen einschnürt). Dadurch wird Energie gespeichert, die den Fuß beim Verlassen des Bodens nach vorne bringt.

Außerdem hat das Ganze noch einen wunderbaren Nebeneffekt: Durch das Erlernen neuer Bewegungsmuster werden ungenutzte Nervenbahnen aktiviert. Bildlich gesprochen legt das Gehirn sich eine Karte an, auf der es abspeichert, welche Bewegungen wie angesteuert werden. Die Stimulation des Bewegungslernens verbessert also spielerisch und nebenbei auch noch die Gehirnleistung.

Man verbessert also in einem Aufwasch das Fußgefühl, das Körpergefühl und das Kopfgefühl. Ich hoffe, spätestens jetzt wackeln alle mit den Zehen 😀

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert