„Funktionell“ oder auch „funktional“ sind Worte, die sich wahnsinnig gut für die Überzeugungsarbeit nutzen. Wenn etwas funktionell ist, muss es doch auch nützlich sein. Oder?
Jein 🙂
An dieser Stelle möchte ich mich nicht auf mein Gefühl für die Wortbedeutung verlassen, sondern es mit der Duden-Definition unterstreichen – auch wenn beides zum Glück deckungsgleich ist. Die in diesem Zusammenhang geltenden Definitionen ist:
Im Sinne der Funktion wirksam
Soweit jetzt nicht sonderlich erstaunlich, oder? Hätte man sich auch denken können. Stimmt. Ich schreibe die Definition trotzdem fett, weil eine unfassbar wichtige Implikation darin steckt: Bevor man etwas als funktionell bezeichnet, muss man sich klar machen, wie genau die gewünschte Funktion aussieht – und sich dann überlegen, ob die entsprechenden Kriterien erfüllt werden.
Es ist nicht immer einfach, sich überhaupt bewusst zu machen, was die Funktion eigentlich ist. Auch die Funktion von Schuhen muss man situations- und personenabhängig differenzieren.
Ganz klar, ein „Straßenschuh“ muss andere Kriterien erfüllen als ein Sportschuh, und der „Ausgehschuh“ steht nochmal auf einem anderen Blatt. Manchmal ist es vielleicht möglich, zugunsten der Funktion Abstriche bei der Optik zu machen, manchmal nicht. Um mich nicht in Details zu verlieren, bleibe ich mal bei dem „normalen Schuh“, den ich überwiegend trage (also auf der Arbeit, zum Einkaufen, im Café oder beim Sport).
Für mich persönlich sind die wichtigsten Funktionen:
- Schuhe sollen mir das Gehen, Stehen und Laufen auf allen Untergründen ermöglichen, ohne dass ich mir dabei Verletzungen an den Füßen zuzuziehen oder an den Füßen friere.
- Schuhe sollen mir einen natürlichen Bewegungsablauf ermöglichen
- Schuhe sollen sich nicht auf meinen Bewegungsapparat auswirken und nicht in meine Bewegungsmuster eingreifen
Zum ersten Punkt: Soweit ist es einfach.
Zum zweiten Punkt: Dazu müsste man noch einen Schritt zurück machen, und sich erst einmal überlegen, WIE ein natürlicher Bewegungsablauf eigentlich aussieht. Wie steht, geht und läuft man denn „natürlich“ (also eben gerade nicht so, wie es uns die Schuhe aufgezwungen haben). Da kommen wir ganz schnell wieder zum Punkt Lauftechnik-Trainer suchen, Barfuß laufen lernen, und DANN gemeinsam mit einem Fachmann überlegen, welchen Schuh man dafür braucht. Vielleicht hat jemand wirklich so eine ausgeprägte Überpronation, dass er eine Pronationsstütze braucht? Kann schon sein. Für diesen Menschen wäre ein Schuh mit Pronationsstütze durchaus funktionell – für mich aber nicht. Vielleicht braucht jemand tatsächlich für den Moment besonders viel Dämpfung, weil die Fußmuskeln komplett überlastet sind? Ja, vielleicht. Aber neben dem Kauf des gedämpften Schuhs wäre es dann vor allem wichtig, Strategien zu entwickeln, wie man daran langfristig ändern kann – eine Stufe weiter innen, am Fuß, nicht am Schuh.
Zum dritten Punkt: Der Körper ist ein Wunderwerk der Natur, ein sich selbst erhaltendes System, in dem unfassbar viele Zellen, Organe und Strukturen permanent Hand in Hand zusammenarbeiten. Ist dir bewusst, dass du jetzt, in diesem Moment, gerade atmest, dein Herz Blut durch deinen Körper pumpt und alle deine Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt? Ist dir bewusst, dass das Blut die verbrauchten Nährstoffe aus den Zellen auch gleich wieder mitnimmt, und in die entsprechenden „Recyclings- oder Entsorgungsorgane“ transportiert? Ist dir bewusst, dass du gerade verdaust, dass dein Körper sich in diesem Moment regeneriert, also kaputt gegangene Zellen repariert oder austauscht – und das alles ganz ohne dein bewusstes Zutun?
Und auch das Stehen und Laufen kann der Körper eigentlich alleine sehr gut regulieren. Klar, als Kinder müssen wir das erst einmal lernen, aber dann ist dafür kein bewusstes Zutun mehr nötig. Der Körper managt das Zusammenspiel unzähliger Muskeln, ohne dass wir denken müssen: „Jetzt Bein anheben, Gewicht verlagern, …“ oder sogar: „Jetzt den Hüftbeuger links dynamisch aktivieren, Abduktoren statisch dazu nehmen, …“.
Eigentlich wäre also auch unsere Statik und Muskulatur ein wunderbar funktionierendes System. Natürlich spielen hier Körperhaltung (viel zu viel Sitzen), einseitige Belastungen etc. eine große Rolle, aber eben auch, dass wir unsere Füße von klein auf in Schuhe stecken. Dadurch verkümmern die Fußmuskeln, die Körperstatik verändert sich, die Bewegungsmuster verändern sich. Grade bei Kindern im Wachstum finde ich es besonders schlimm, wenn die Körperstatik permanent extern beeinflusst wird. Nach einer Zeit funktioniert das System dann leider logischerweise nicht mehr von alleine. Und wir kommen auf die Idee: „Hey, lasst uns doch das, was uns in den Schlamassel geführt hat, nutzen, um das Problem zu lösen.“ Bin ich die einzige, die das abstrus findet?
Und jetzt? Stecken wir schon so tief drin, dass wir ohne die Unterstützung durch Schuhe gar nicht mehr klar kommen? Brauchen wir immer noch bessere Einlagen, Stützen, Dämpfungskonzepte? Ist es für unsere Fußmuskulatur eh schon zu spät, und deshalb bleibt uns gar nichts anderes, als so weiter zu machen?
NEIN! Umdenken, und es ab jetzt besser machen. Es geht zwar nicht mehr ganz so schnell wie früher, aber der Körper regeneriert permanent, und es finden jeden Tag erstaunlich viele Anpassungsprozesse statt. Wenn sich jede Woche nur ein Prozent ändert, hat man nach einem Jahr schon 52% geschafft 😉
Zusammengefasst heißt das: Es gibt ihn nicht, DEN funktionellen Schuh. Die Funktionen, die ein Schuh erfüllen soll, sind wahnsinnig vielfältig, und hängen vor allem von den Einsatzbedingungen und dem „Schuhträger“ ab.Deshalb sollte man sich – am besten gemeinsam mit Fachpersonal – überlegen, welche Funktion der Schuh erfüllen soll.
Meine persönlichen Kriterien an einen „normalen“ Schuh sind aktuell:
- Breiter Zehenkäfig, damit die Zehen nicht zusammengedrückt werden
- Keine Sprengung
- Flexible Sohle, damit die Fußmuskulatur arbeiten kann
- Kein Fußbett (um das zu optimieren, hilft es oft, die Sohle rauszunehmen)
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