Heute habe ich mich beim Radfahren mit einem netten jungen Mann unterhalten, der leider im Moment keine gute Zeit hat. „Wenn ich erst ein neues Auto habe“, „wenn ich erst wieder eine Beziehung habe“, „wenn ich mal Kinder habe“ – so und so ähnlich bewegten sich seine Gedanken, in die er sich immer weiter verstrickt.
Ich hörte ihm zu – und fragte mich und ihn, was „dann“ wäre. Diese „wenn erst“ Denkweise ist bei uns leider sehr weit verbreitet, ich würde schon fast sagen normal. Ich sehe sie als besonders tückisch an, weil diese Gedankenspirale nie aufhört. Um bei dem Beispiel des Mannes von heute zu bleiben: Wenn er denn irgendwann ein Auto, eine Beziehung und ein Kind haben wird, wird er sagen „wenn das Kind erstmal durchschläft, sind wir auch wieder ausgeglichener“. Dann kommt „wenn das Kind erst mal in der Schule ist, ist unser Leben wieder geregelter“. Später „wenn die Kinder erst mal aus dem Gröbsten raus sind, haben wir wieder mehr Zeit für uns“. Und immer so weiter.
Passenderweise kamen wir während dieses Gespräches an einer Grundschule vorbei. „Da würde ich gerne nochmal hin. Das war die beste Zeit“, erklärte er wehmütig.
Auch das sagen bestimmt rückblickend viele. Wenn man sich aber mal einen Moment Zeit nimmt und ehrlich zu sich selbst ist, hat man das zu der Zeit ganz und gar nicht so gesehen. Da wollte man möglichst schnell auf die weiterführende Schule, zu den Großen gehören, endlich 18 sein.
Das „Wenn erst“-Karussell beginnt sich oft schon sehr früh zu drehen – und in meinen Augen in jedem Fall zu früh! Später kommt dann der Hang dazu, das Vergangene zu verherrlichen. Dabei haben sich die meisten in dieser Zeit, die sie sich dann wieder herbeiwünschen, ebenso wenig wohl, geerdet und angekommen gefühlt, wie in der Gegenwart.
Warum verlieren wir uns eigentlich immer in Gedankenkreisen um die Vergangenheit (was wir vermissen/jetzt nicht mehr haben) oder um die Zukunft (was wir erreichen wollen)? Warum sind wir nie mit der gegenwärtigen Situation zufrieden?
Natürlich braucht der Mensch Ziele, wenn er sich weiterentwickeln will. Wenige Menschen haben das große Glück, in allen Bereichen „angekommen“ und zufrieden zu sein, und sich (für den Moment) gar nicht mehr weiterentwickeln zu wollen. Die meisten haben in der Regel die ein oder andere Baustelle: Ein neuer Wohnort, neue Bleibe, neuer Job, soziales Umfeld im Umbruch, abnehmen, fitter werden, ein Bildungsabschluss, … – was auch immer sich gerade verändert, wird in den Fokus gestellt. Die Gedanken drehen sich tage-, wochen- oder auch mal monatelang um nichts anderes. Dann, endlich – der Tag, an dem das Ziel erreicht ist. Der große Erleichterungsknall und die Freude halten oft nur ein paar Tage, oder sogar nur Stunden an. Lange dauert es in der Regel nicht, bis man die nächste Nadel im Heuhaufen gefunden hat, wieder einen Grund hat, hinter etwas herzurennen. Egal wie lange man darauf hinarbeitet, gönnt man sich zu selten die Momente, das auch zu genießen. Es muss immer weitergehen. Ist das so? Darf es nicht auch einfach mal gut sein? Muss das Karussell sich wirklich rund um die Woche, das Jahr, das Leben weiter drehen?
Irgendwann kommt „wenn ich erst mal in Rente bin, habe ich Zeit und Geld, das alles zu tun, was ich immer tun wollte, aber keine Zeit dafür hatte“. Richtig. Aber was, wenn man es dann nicht mehr tun kann? Wenn man den guten Absprungszeitpunkt verpasst hat, und dann nur noch abwarten kann, bis das Karussell aufhört, sich zu drehen?
Viel schöner als dieser Ganze „ich muss das schnellstmöglich erreichen“-Stress wäre es, sich mental auf das zu konzentrieren, was schön ist. Das gerät vor lauter Hatz nach „höher-weiter-mehr“ nämlich leider oft komplett aus dem Bewusstsein. Manchmal würde ich Leute gerne schütteln und sagen „du hast ein tolles Leben! Deine ‚herznahen Menschen‘ und du, ihr seid soweit gesund, euch geht es gut. Ihr habt keine Existenzsorgen, ein schönes Haus, tolle Hobbies, … . Genießt die Zeit, die ihr zusammen habt, seid glücklich!“
Natürlich kann man bei anderen nie hinter die Fassade blicken. Niemand weiß, wie schwer das Päckchen wirklich ist, dass der andere zu tragen hat. Deshalb wäre ich vorsichtig, das zu anderen zu sagen. Aber zu mir selbst, da darf ich es wohl.
Vieles nimmt man leider als normal hin und schätzt es viel zu wenig. Zum Beispiel Rückhalt durch Familie und Freunde, egal was passiert – schön, wenn man das als normal ansehen kann, und trotzdem ist es unglaublich wertvoll und sollte geschätzt werden. Ich bin mir sicher, dass jeder an diese Stelle unzählige Beispiele findet. Vielleicht muss man sich wirklich mal die Zeit nehmen, sich mit Stift und Papier hinzusetzen und sich schriftlich bewusst machen, was alles gut läuft im Leben, wofür man dankbar und weshalb man glücklich ist.
Ein schöner Nebeneffekt von positiven Gedanken, die man durch das Glücklichsein gewinnt: Man hat automatisch mehr Energie. Das hilft ungemein, um nötige Veränderungen voranzutreiben. In der Zeit, die man ihnen im Leben einräumt, ohne dabei zu vergessen, das Leben zu genießen.
… schön!
In diesem Sinne fällt mir ein Zitat von Reinhold Messner ein, bei dem ich kürzlich auf einem Vortrag war: ‘Es nützt nichts, darauf zu warten, dass ich am Ende meines Lebens sagen kann: Ich hatte ein erfülltes Leben.’
So schön wie wahr! 🙂
Das war bestimmt ein genialer Vortrag? Sehr gute Idee, der kommt gleich auf meine Liste 🙂