Je länger ich das Cortison nehme, umso öfter und eindringlicher kommt mein „altes Ich“ durch. Bis Ende Februar habe ich mich so wenig wie möglich bewegt, weil ich meine Energie für das Nötigste gebraucht habe. Jetzt habe ich wieder Energie „übrig“ und werde „hippelig“, wenn ich mich mal ein, zwei Tage nicht bewegt habe. Es ist so schön, wieder Hummeln im Hintern zu haben!!!
Viele hielten mich „früher“ für verrückt, weil ich oft extrem gute Laune hatte, wenn ich körperlich an meine Grenzen kam. Nach einem Lauf, Triathlon, Radrennen oder Skilanglaufmarathon war ich zwar oft platt, konnte aber trotzdem nicht aufhören, durch die Gegend zu hüpfen, weil ich zu viele sprudelnde Glückshormone im Blut hatte. Natürlich machen mir bei solchen Events auch andere Dinge Spaß – nette soziale Kontakte, coole Landschaften, ein bisschen Risiko in der Abfahrt. Aber ich kann nicht leugnen, dass es mir einen besonderen Kick gibt und richtig Spaß macht, über die Laktatgrenze hinauszugehen. Und bevor ihr mich jetzt wieder alle für verrückt erklären: ich kann sogar erklären, wieso körperliche Ausbelastung bei mir so eine große Endorphinausschüttung bewirkt. Dafür muss ich allerdings ein bisschen weiter ausholen. Ich habe mir zu diesem Thema schon einmal etwas verfasst, da ich meine Masterarbeit über die Sinnperspektiven des Skisports geschrieben habe. Da ich mich immer schon einmal selbst zitieren wollte, kommt hier ein Auszug aus meiner Einleitung:
„Jeder fünfte Einwohner Deutschlands über 14 Jahre fährt Ski. Über 70% der Skifahrer geht diesem Hobby bereits über zehn Jahren nach – und das, obwohl Skifahren auf den ersten Blick ein spezielles Hobby zu sein scheint: Die meisten haben eine weite, zeit- und kostspielige, nervenaufreibende Anreise ins Skigebiet. Auch die Unterkünfte sind vergleichsweise teuer. Dazu kommen die Ausrüstung, der Skipass sowie die in Skigebieten kostenintensive Verpflegung. Bevor man die ersten Spuren in den Schnee legen kann, muss man vielerorts lange an Liften anstehen, oder sich sogar mit vielen weiteren Schneesportfreunden in eine stickige Großkabinengondel oder Zahnradbahn quetschen. Dazu können Unannehmlichkeiten wie Druckstellen durch die Skischuhe, unangenehm bis schmerzend kalte Füße und Hände, eisiger Wind im Gesicht, schlechte Sicht oder rücksichtslose Schneesportler auf der Piste kommen.
Was treibt die Menschen dennoch an, Ski zu fahren? [Erst einmal gibt es darauf eine] einfache Antwort: Skifahren macht Spaß! Skifahren bietet einmalige Erlebnisse und Glücksmomente und kann jeden Urlaub und jeden Tag innerhalb ein paar weniger gelungener Fahrten zum unvergesslichen Erlebnis machen – zu dem, was das Leben mitunter lebenswert macht.“ (nach Weidler, 2014 😀 )
Soweit, so klar. Aber die Frage ist ja, WARUM macht Skifahren trotz all der Unannehmlichkeiten Spaß macht? Die Antwort auf diese Frage findet man in den sechs Sinnperspektiven, die der Sportpädagoge Prof. Dr. Dietrich Kurz beschrieben hat:
Die Sinnperspektiven erklären, was die Menschen zum Sport treiben motiviert, also worin sie den Sinn des Sports sehen. Im Wortteil „Perspektive“ steckt, dass das eine subjektive Sache ist. Der Sinn, den ein Mensch in seinem Tun sieht, hängt von vielen Faktoren ab. Jeder hat einen anderen Blickwinkel, und jeder sieht in seinem Sport seinen eigenen Sinn. In einer Fußballmannschaft, in der auf den ersten Blick alle die gleichen Ziele haben (kurzfristig: Ball ins gegnerische Tor; Spiel gewinnen. Längerfristig: Aufstieg, Klassenerhalt, ..), gibt jeder dem Sport seinen eigenen Sinn. Einer mag wegen der Gemeinschaft spielen, der andere um sich fit zu halten, einige wegen der „dritten Halbzeit“. Genauso ist es bei einem Radrennen: Alle wollen im Ziel ankommen, aber die Fahrer geben ihrem Tun zwischen Startschuss und Zielüberquerung unterschiedliche Inhalte. An diesem Beispiel erkläre ich kurz die sechs Sinnperspektiven:
- Leistung (sich auspowern, möglichst schnell im Ziel sein, gewinnen)
- Gemeinschaft (mit Freunden zusammen fahren, unterwegs nette Leute kennen Lernen)
- Eindruck (tolle Landschaft genießen, sich körperlich gut dabei fühlen)
- Ausdruck („gut aussehen“ à lässig über den Trail surfen, stylishes Outfit)
- Wagnis (Adrenalinkick beim Fahren von kniffligen Stellen, Geschwindigkeit genießen)
- Gesundheit (Herz-Kreislauf-System trainieren, Bewegung an der frischen Luft, Abnehmen, …)
Die Sinnperspektiven variieren nicht nur von Mensch zu Mensch, derselbe Mensch kann sogar in derselben sportlichen Aktivität je nach Situation einen unterschiedlichen Sinn sehen. Und genau das erklärt, warum mir körperliche Ausbelastung ein ultrabreites Grinsen ins Gesicht zaubern kann: An manchen Tagen stehe ich auf die Sinnperspektive „Leistung“. Bestimmt nicht immer – es gibt auch Tage, an denen ich einfach nur eine gemütliche Tour mit Freunden fahren, die Landschaft genießen oder mir beim Techniktraining einen Adrenalinkick holen will. Aber manchmal habe ich einfach so viel Freude an Bewegung und Lust, mich auszupowern, dass es für mich der Leistungskick sein darf und muss.
Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich verdammt froh, dass ich über die lange leistungsarme Zeit diese Sinnperspektive nicht verloren habe. Damit hat auch es auch etwas Gutes, dass meine Form aktuell noch ein bisschen zu wünschen übrig lässt: Je schneller ich mit auspowern fertig bin, umso schneller sprudeln die Glückshormone! 🙂