Eigentlich hatte ich gar nicht vor, heute Mittag zu bloggen. Heute Abend wollte ich ran – allerdings dann auch zu einem ganz anderen Thema. Aus aktuellem Anlass widme ich mich doch nochmal meinem aktuellen Lieblingsthema – Füße, Schuhe, Statik. Und dazu überschlagen sich die Gedanken gerade so dermaßen im meinem Kopf, dass morgen bestimmt noch was dazu kommt. Weil ich das wirklich schrecklich finde, kann ich das heute nicht schön basteln, deshalb ohne Bilder und sonstigen Schnick-Schnack, nur die harten Fakten.
Grade hatte ich es mir mit der Zeitung auf der Terrasse bequem gemacht, hing mehr in meinem Stuhl als dass ich saß, und schlürfte leckeren Tee. Ich las den Hägar-Comic, blättere um – oh schön, ein Bericht übers laufen. Ich vertiefte mich in den ersten Absatz – und sprang so entsetzt auf, dass mein Stuhl nach hinten kippte.
Nicht deren Ernst??
Überschrift: „Der Wettlauf“
Unterüberschrift: „Der Joggingschuh der Zukunft soll einzigartig sein, perfekt auf Füße und Laufstil eines jeden Kunden angepasst. Möglich machen das Techniken wie der 3D-Druck.“
Ich wurde nervös, schon leicht panisch, und konnte mich im ersten Moment gar nicht entscheiden, ob ich mich erst mal aufregen, oder weiterlesen soll. Ich entschied mich für Letzteres (auch wenn ich mich dabei schon ein bisschen aufregte 😀 ). Mit der Hoffnung, dass es ja vielleicht gar nicht so schlimm sein könnte, wie es klingt, begann ich zu lesen.
Jetzt sitze ich hier und hacke aufgebracht auf meine Laptop-Tastatur ein. Damit kann ich wohl vorweg nehmen: Doch, genauso schlimm ist es! Der Artikel beleuchtet die Sache zwar von verschiedenen Seiten recht neutral und prangert die Idee nicht als das neue „Non-Plus-Ultra“ der Laufschuhindustrie an (ehrliches Danke dafür!). Aber der Plan namhafter Hersteller ist es tatsächlich, in Zukunft die Schuhe direkt auf den Fuß maßzuschneidern. Also den Fuß zu vermessen, und „den perfekten Schuh“ für diesen Fuß zu drucken.
Ich raste aus.
Ja, ich gebe zu, das klingt erst mal verdammt cool – aber genau das ist das Problem. Das Marketing wird sowas von zünden – weil die wenigsten wissen, dass ein perfekt angepasster Schuh das schlimmste ist, was sie ihren Füßen antun wollen. Unsere Füße, und auch die daran hängenden Beine, Hüften und Wirbelsäulen bestehen nämlich nicht aus UV-härtbarem Harz und Polyurethan. Deshalb ergibt sich aus der Symbiose des perfekten Schuhs und dem Fuß kein System mit möglichst geringem Kraftverlust, sondern das System mit dem größtmöglichen Kraftverlust für die Fußmuskulatur – eine echte Katastrophe! Unser Lateinlehrer hat uns in der fünften Klasse gerne erklärt, dass es gar keinen „Super-GAU“ geben kann, weil ein GAU ja schon der größte anzunehmende Unfall ist – und ein Superlativ nicht weiter gesteigert werden kann. Ja, lieber Herr Paulus, da haben sie Recht! Und trotzdem – das hier wäre ein Super-GAU – für unsere Füße!
Ich versuche, den Teufelskreis in Worte zu fassen, und beschreibe dafür eine beliebige Person. Nennen wir ihn Max, 30 Jahre alt, in seiner Jugend Fußballer, seit acht Jahren Läufer, und natürlich immer in modernen Laufschuhen unterwegs – er will sich ja nicht die Füße kaputt machen. Trotzdem zwickt es immer mal wieder hier und da – mal am Schienbein, mal am Knie, mal in der Hüfte, auch schon mal am Rücken. Man erklärt Max, das könne an den Schuhen liegen. Deshalb läuft er mal mit viel Sprengung, mal mit viel Dämpfung, mal mit Pronationsstütze, am Ende mit Einlagen. Alles fühlt sich anfangs ganz gut an, mittel- oder gar langfristig führt nichts zum gewünschten Ergebnis.
Warum schaut eigentlich niemand mal IN DIE SCHUHE REIN? Wie zur Hölle kommt man auf die Idee, die Schmerzen einem externen Faktor (den Schuhen) zuzuschieben, und nicht mal nach den Füßen zu schauen? Als jahrelanger Fußballer und Läufer, aber sogar schon nur als 30-jähriger Mann, der sein Leben lang Schuhe getragen hat, bin ich mir sehr sicher, dass es da großen Optimierungsbedarf gibt: Hat Max vielleicht einen Knick-Senkfuß? Einen Spreizfuß? Einen Plattfuß? Oder, ganz weit oben angesetzt: Durch jahrelanges viel zu häufiges Tragen von „falschem Schuhwerk“ eine viel zu schwach ausgebildete Fußmuskulatur, die deshalb sein Fußgewölbe nicht mehr aufrecht halten kann? Ich bin jetzt einfach mal so frei, eine Ferndiagnose zu stellen, obwohl ich das weder kann, noch darf, noch Max persönlich kenne: Ja, das hat er – ziemlich sicher sogar. Es sei denn, Max hatte Glück, und ist in seiner Sportler-Karriere schon an jemanden geraten, der das ganze Schuh-System ein bisschen kritischer hinterfragt. Da es davon zwar mittlerweile schon richtig tolle, aber leider noch viel, viel zu wenige Menschen gibt, schätze ich die Wahrscheinlichkeit dafür für recht gering ein.
So. Und jetzt, endlich (Vorsicht, Ironie!), bringt die Schuhindustrie die Lösung für Max auf den Markt: DEN perfekten, auf seine Füße haargenau und individuell gefertigten Laufschuh. SEINEN PERFEKTEN SCHUH. Der leider, leider auf gleich zwei Arten irrsinnig überzeugend wirkt: Zum einen scheint es ja außerordentlich Geniales zu sein, wenn der Fuß ganz individuell an den eigenen Fuß angepasst wird. Und zum anderen wird sich der Schuh beim Tragen auch phantastisch anfühlen, eine unschlagbare Haptik bieten, denn der Fuß ist ja wirklich „perfekt unterstützt“. Was Max leider nicht erklärt wurde, ist, dass man genau das auf gar keinen Fall erreichen möchte. Denn die perfekt unterstützende Sohle ist der letzte Todesstoß für seine Fußmuskulatur.
Hier hatte ich das schon Mal ausführlich beschrieben, nochmal zum ins Gedächtnis rufen in Kurzform: Sobald der Fuß von unten in seiner Form unterstützt wird, funkt es ans Gehirn: „Schaltzentrale, hier unten kannst du die Aktivität abschalten. Hier ist alles save“. Und genau das tut das zentrale Nervensystem dann auch – was für den Moment ja gar kein Problem ist, der Fuß wird durch den Schuh, die Einlage, ja tatsächlich in der Form gehalten, wie er sein soll. Und wenn das mal für einen begrenzten Zeitraum genutzt wird, kann das auch ein tolles Tool sein. Nur langfristig ist das nicht gut, weil das ein Teufelskreislauf ohne Grund und Boden ist. Weil die Fußmuskulatur sich dann komplett zurück bildet, und man immer mehr auf die speziell angepassten Sohlen angewiesen ist, weil die Schmerzen sonst immer schlimmer werden.
Aber es geht auch anders! Selbst für Leute, die aktuell wirklich auf die Sohlen angewiesen sind, gibt es in der Regel einen vergleichsweise simplen Ausweg. Ich erkläre ihn an einem Beispiel: Eine OP-Schwester, die (durch das jahrelange Tragen von falschem Schuhwerk, ich weiß, ich wiederhole mich…) eine schon stark ausgeprägte Fußfehlstellung hat, steht den ganzen Tag im OP. Nach einem langen Arbeitstag hat sie abends verständlicherweise höllische Schmerzen – vor allem in den Füßen, aber auch mal in den Knien, in den Hüften, manchmal auch im Rücken. Natürlich freut sie sich über die Unterstützung durch High-Tech-Schuhe mit angepassten Sohlen! Denn dann steht sie zwar immer noch den ganzen Tag im OP, hat aber währenddessen (und abends) keine, oder mindestens weniger Schmerzen. Ihr jetzt zu empfehlen, Barfußschuhe im OP zu tragen, scheint mir aus drei Gründen ziemlich schwachsinnig:
- Erstens darf sie das wahrscheinlich gar nicht – oder andersrum gesagt, ich weit nicht, wie weit die Barfußschuhindustrie im Bereich Arbeitsschuhe mittlerweile entwickelt ist, und ob es da überhaupt schon erlaubte Modelle gibt
- Wenn sie Barfußschuhe tragen würde, müsste sie sich die ganze Zeit darauf konzentrieren, richtig zu gehen und zu stehen, ihr Fußgewölbe aufzurichten – und dazu hat sie während der OP weder Zeit noch Nerven
- Am Ende des Tages bin ich als Patient und Angehöriger sehr dankbar, wenn die OP-Schwester mit all ihren Gedanken und ihrer Konzentration bei ihrer Arbeit und dem Patienten auf dem Tisch ist, und nicht bei ihren Füßen – auch wenn ich dieses Thema wirklich unfassbar wichtig finde.
ABER: Sobald sie aus dem OP raus kommt, wünsche ich mir für sie, dass sie ihre Füße befreit, die unterstützenden Schuhe in die Ecke feuert und in Barfußschuhe schlüpft – oder noch besser, den Feierabend barfuß mit Fußgymnastik auf einer Wiese verbringt! Denn dadurch kann sie dafür sorgen, dass ihre Fußfehlstellung ein temporäres Problem ist, das sich mit der Zeit bessert und irgendwann im besten Fall in Luft auflöst, sodass sie auch beim Stehen ohne Unterstützung keine Schmerzen mehr hat.
Also nochmal: Temporäre Unterstützung kann ein wertvolles Tool sein, aber die Schlüsselbegriffe an der Stelle sind temporär und Tool.
- Temporär heißt nicht dauerhaft! Nur für einen begrenzten Zeitraum anwenden:
- Auf den einzelnen Tag bezogen: Während der Zeit, in der ich mich nicht darum kümmern kann, und/oder wirklich Unterstützung brauche
- Mittelfristig gedacht: Dem Körper und den Füßen für einen begrenzten Zeitraum (noch) Unterstützung zugesehen, ist eine gute Idee – so lange man regelmäßig und konsequent daran arbeitet, dass das nicht dauerhaft nötig ist, oder mindestens die Unterstützungszeiten pro Tag Stück für Stück verkürzt werden können. Wie? Jeden Tag so viel wie möglich barfuß gehen und Übungen für die Fußmuskulatur in die Tagesroutine aufnehmen
- Tool: Laut Duden ist ein Tool ein „Programm von geringem Umfang, das zusätzliche Aufgaben für ein bestimmtes Betriebssystem oder Anwendungsprogramm übernimmt“. Das impliziert, dass das Tool nicht die alleinige Lösung sein kann, sondern eben nur eine kleine Unterstützung für das System – unsere Füße, oder noch größer gedacht unseren Körper.
Um den Bogen zu schließen: Für Max ist es ehrlich nicht klug, sich rund um die Uhr auf das „Tool“ des perfekten Schuhs zu verlassen. Lieber Max (und jede(r) andere), wenn du das liest: Trainier deine Füße! Such dir einen Trainier, wenn du magst, komm auch gerne zu mir, ich zeig dir einfache Übungen, die du jederzeit machen kannst, und auch ein paar richtig anspruchsvolle, die als echtes Training durchgehen. Bitte glaube nicht daran, dass ein Gemisch aus Polyurethan und flüssigem Harz auch nur ansatzweise das zu leisten vermag, was deine Muskeln, Bänder, Sehnen und Knochen können!!
Um auch den noch größeren Bogen nochmal zu schließen: Auch ich finde 3D-Drucker faszinierend, cool, spannend – bestimmt ein tolles Spielzeug, und ganz bestimmt auch super sinnvoll in unfassbar vielen Situationen einsetzbar.
Nur sollte das trotzdem nicht komplett den Verstand ausschalten und dazu führen, dass man sie in jedem Setting nutzt – auch wenn es sich noch so gut verkaufen lässt. Das gefährliche bei den Läufern ist ja, dass sie eine riesige Zielgruppe sind, die bereit sind, richtig Kohle in ihr Equipment zu stecken – und hey, für individuell angefertigten Fancy-Scheiß natürlich nochmal viel mehr. In dem Artikel steht, dass die Industrie davon ausgeht, dass Kunden bereit wären, 20 bis 25% mehr für einen solchen Schuh zu bezahlen. Na wunderbar! Ein Viertel mehr an Umsatz bringt ein riesiges Wachstumspotential mit sich, wer wird denn dabei noch einen Gedanken daran verschwenden wollen, ob das überhaupt auch nur ansatzweise sinnvoll ist?
Abschließend möchte ich den roten Faden des Artikels noch einmal aufgreifen: Der letzte Satz der Unterüberschrift des Artikels fasst diesen Gedanken wunderbar zusammen: „Für die Sportindustrie ist das der Beginn einer neuen Ära – auch wenn vieles im Moment reines Marketing ist.“
Hi Carina,
Es gibt abwischbare,lederne Barfußschuhe für den medizinischen Bereich von senmotic, allerdings nur für Praxis-/ Stationsarbeit.
Im OP müssen aus hygienischen Gründen leider die alt”bewährten” Schuhe getragen werden…
Ansonsten schließe ich mich deinem Artikel vollumfänglich an, meine Kinder und ich laufen ausschließlich barfuß oder in Barfußschuhen. Seitdem ist dann auch mein chronisches Außenband- und Knieproblem weg.
Lg, Sandra
Hi Sandra,
ich freue mich sehr, von dir zu lesen 🙂 Danke für die Info – und wirklich schön, dass es auch in dem Bereich schon sinnvolles Schuhwerk gibt. Ich bin optimistisch, dass es sich irgendwann gänzlich durchsetzt 🙂
Viele liebe Grüße 🙂