Die Füße sind unser Fundament

Barfußlaufen ist ein wahnsinnig komplexes und heiß diskutiertes Thema. Deshalb habe ich eine ganze Weile gebraucht, um mich heranzutasten und so intensiv damit zu beschäftigen, bis ich mich getraut habe, darüber zu schreiben – beziehungsweise, bis ich festgestellt habe, dass ich eigentlich erst einmal über etwas anderes schreiben muss und möchte. In „Laufstilanalyse Teil 1“ und „Sprengung“ hatte ich mich schon ein bisschen mit der Thematik des Barfußlaufens beschäftigt – jetzt widme ich mich der ganzen Thematik noch ein bisschen intensiver, und steige ganz am Anfang ein.

Um mögliche überschießende Motivation gleich im Vorfeld in sinnvolle Bahnen zu lenken, ist es mir ganz wichtig, nochmal zu betonen: Bevor jemand munter barfuß drauflos läuft, bedenkt bitte dass man dafür  auch eine andere Geh- und Lauftechnik braucht (außer ihr seid sowieso schon Mittel- oder Vorfußläufer). Hier habe ich das schon Mal beschrieben, und das ist wirklich ernst gemeint: Wenn man versucht, barfuß plötzlich so zu gehen oder zu laufen, wie man es in den Schuhen gelernt hat (also brutaler Fersengang), kann man sich ernsthaft verletzten. Am besten sucht man sich euch einen Trainer und „lernt richtig laufen“.   Wenn das nicht möglich ist – lest, schaut Videos, macht euch schlau. Euch zu Liebe 🙂

Bevor man sich mit dem Thema Barfuß-„Laufen“ beschäftigt, sollte man meiner Meinung nach noch einige Schritte (oder auch gerade nicht Schritte) weiter vorne anfangen: Beim Barfuß-Gehen und Barfuß-Stehen. Uoch eine Stufe davor (und damit am Anfang der ganzen Theorie) steht die Erkenntnis, der ich den heutigen Post widme:

Die Füße sind unser Fundament.

Das klingt so banal und logisch, dass es fast keinen Gedanken wert zu sein scheint – aber mal ganz ehrlich, wer hat sich schon mal intensiv Gedanken über seine Füße gemacht? Wahrscheinlich sehr wenige – ausgenommen natürlich denen, die Probleme mit den Füßen haben. Ich hatte mich bislang ehrlich gesagt auch nicht so richtig intensiv mit meinen Füßen beschäftigt. Die hängen halt unten an mir dran, sehen nicht gerade spektakulär aus, ab und zu muss man sich die Zehennägel schneiden.

So weit, so gut. Aber wenn man mal ein bisschen darüber nachdenkt, hätten die Füße eigentlich verdammt viel Aufmerksamkeit verdient. Diese doch vergleichsweise kleinen Körperteile tragen den ganzen lieben langen Tag unser Gewicht – Plus Rucksack, Kisten, oder was man sonst so mit sich rumschleppt. Beim Sport wirken enorme Kräfte auf die Füße – egal ob es eine Dauerbelastung beim Marathon, viele Sprünge und Landungen beim Volleyball, oder Drehungen und Schüsse beim Fußball sind. Das alles oft in Schuhen, die zwar der Sache dienen, dem Fuß aber nicht gerade gut tun (Beispiel: Fußballschuhe, die für ein gutes Ballgefühl schön eng sitzen müssen, und dafür den Fuß einengen). Und trotzdem beschweren sich unsere Füße erstaunlich selten.

Oder merken wir es nur nicht? Ich glaube, letzteres ist der Fall. Hier kommt wieder die Fundament-Metapher zum Einsatz: Wenn man einen Turm ganz unten ein bisschen schief baut, wird er wahrscheinlich weiter oben irgendwann einbrechen – selbst, wenn er dann dort theoretisch gerade wäre. Ein paar Bauklötze können den schiefen Schwerpunkt noch ausgleichen, aber irgendwann wird es zu viel und (mindestens) die oberen Klötze stürzen ein. Genauso ist es bei unserem Körper: Probleme oder Fehlstellungen an den Füßen zeigen sich nicht zwangsweise an den Füßen, sondern häufig auch ein bis drei Etagen weiter oben.

Wenn „ganz unten“ etwas nicht stimmt, können wir an unseren Knien, Hüften und Wirbelsäulen so viel Korrektur betreiben, wie wir wollen – es wird keinen dauerhaften Erfolg bringen. Ein kleiner Statikfehler in den Füßen, der den Fuß nach innen knicken lässt, verändert die komplette Körperstatik!

Jetzt wäre es an der Zeit, darüber nachzudenken, wen das überhaupt betrifft. Ist der Artikel für Spezialfälle gedacht und nur für wenige interessant? Nein. Jeder, der schon einmal Rücken-, Hüft- oder Knieschmerzen hatte, sollte weiterlesen. Und natürlich auch jeder, der mit den Füßen selbst ein Problem hat (bzw. sich dessen schon bewusst ist). Wahrscheinlich zählt also jeder zu der Zielgruppe. Wie kann es sein, dass eine ganze Nation, ich würde sogar weiter ausholen und sagen ein ganzer Kontinent, von den Füßen ausgehende Probleme hat?

Bevor ich zu Erklärungen aushole, bringe ich es ganz kurz auf den Punkt: Es liegt an unseren Schuhen!

Also, vorm Weiterlesen, bitte einmal kurz innehalten, und die Schuhe ausziehen.

Echt jetzt 🙂

Warum? Weil es einen riesigen Unterschied macht. Verfechter des Barfuß-Laufens nennen Schuhe „Fuß-Gefängnisse“ oder sogar „Fuß-Särge“. Das mag übertrieben klingen, aber die Auswirkungen von Schuhen auf unsere Füße und unsere Körperstatik sind zum Teil wirklich enorm. Man könnte die Liste endlos fortsetzten, deshalb räume ich gleich ein, dass das nur eine unvollständige Aufzählung der (für mich) gravierendsten Punkte ist:

Was verändert sich, wenn wir unsere Füße aus den „Schuh-Gefängnissen“ befreien:

  • Die Fersen und die Ballen sind auf der gleichen Höhe. Den Punkt habe ich vor ein paar Wochen im Artikel über Sprengung genauer erklärt. Nochmal kurz zusammengefasst: In Schuhen stehen und gehen wir durch die permanent „bergab“ . Das liegt daran, dass die Sohlen unter den Fersen höher sind als unter dem Ballen. Um nicht in Schräglage zu kommen, müssen wir das durch ein übertriebenes Hohlkreuz ausgleichen. Macht euch das bitte nochmal klar: Wenn eure Fersen höher stehen, als die Ballen, würdet ihr permanent nach vorne geneigt sein. Ein Brett, das man auf einer Seite aufbockt, neigt sich zur anderen. Genauso tut es euer Körper. Um nicht umzufallen, und um im Endeffekt gerade AUSZUSEHEN, MUSS man also das Becken verstärkt kippen, und damit ein übertriebenes (und ungesundes) Hohlkreuz in Kauf nehmen. Das ist schon bei Laufschuhen und normalen Schuhen der Fall. Über hohe Schuhe wollen wir lieber mal gar nicht reden. Das heißt natürlich nicht, dass man nur noch ohne jegliche Sprengung und – für die Mädels – nie wieder auf hohen Schuhen unterwegs sein darf. Aber wie es fast immer ist – die Dosis macht das Gift. Ab und zu mal kann der Körper das locker wegstecken. Wenn es zur Dauerbelastung wird, kann es zum Problem werden.
Wenn Ferse und Ballen auf einer Höhe stehen, behält die Wirbelsäule ihre natürliche Form

 

Wenn die Ferse höher steht als der Ballen, muss die Lendenwirbelsäule durch eine verstärkte Vorwölbung ausgleichen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  • Das Gewicht verteilt sich gleichmäßig auf den Füßen – es lastet nicht übermäßig viel Druck auf den Fersen und Zehen, sondern das Fußgewölbe kann das Gewicht abfedern
  • À propos Fußgewölbe: Dieses wird barfuß wunderbar trainiert. Das schlimmste Feind des Fußgewölbes sind moderne High-Tech-Sportschuhe (ok, noch schlimmer sind vielleicht Einlagen), die den Fuß genauso unterstützen, wie er gebaut ist. Dadurch verliert sich jegliche Eigenspannung des Fußgewölbes. Stellt euch das so vor: Wenn ihr euch auf die Couch legt, meldet euer zentrales Nervensystem aus dem Steuerzentrum (dem Gehirn) an die Muskulatur: „Liebe Muskeln, bitte einmal komplett locker lassen, ihr braucht jetzt nicht zu arbeiten. Auf der Couch liegt es sich superbequem, es ist keine Muskelspannung vonnöten, um eine Position zu halten „(wie es beispielsweise beim Sitzen auf einem Ball ist). Wenn man die Füße auf perfekt angepassten Schuhsohlen bettet, passiert genau das gleiche: Das zentrale Nervensystem funkt an die Fußmuskulatur: „Jungs und Mädels da unten, die Lage ist entspannt, der Fuß bleibt automatisch in der Form, in die er gehört – lasst locker!“ Für den Moment mag das gut klingen – langfristig aber ist es eine Katastrophe. Denn auch für unsere Fußmuskulatur gilt: „Use it or loose it“ – was nicht gebraucht wird, wird abgebaut. Das heißt, dass das Fußgewölbe sich langfristig komplett verliert, da die Fußmuskulatur unfassbar schwach wird und das Gewölbe nicht mehr von selbst aufrecht erhalten kann. Dann bleiben nur noch Einlagen, um Schmerzen beim Stehen und Gehen zu verhindern, und der Fuß selbst wird noch schwächer – ein Teufelskreis, den man nur auf eine Art durchbrechen kann: Die Fußmuskulatur trainieren und barfuß laufen!!!
  • Der Fuß ist flexibel und kann durch die natürliche Fußabrollbewegung (die eine Pronation beinhaltet) wesentlich besser dämpfen als jede Schuhdämpfung das könnte. Pronation ist ein Teil der natürlichen Fußabrollbewegung? Ja, richtig, das steht da. Warum Pronationsstützen dann jahrelang nahezu serienmäßig in Laufschuhen verbaut wurden, ist eine verdammt gute Frage, auf die ich mir zwar Antworten vorstellen, diese aber nicht gelten lassen kann: „Bevor jemand falsch/ zu weit abrollt, tut er es lieber gar nicht“, ist vielleicht gut gedacht, aber ist es auch konsequent zu Ende gedacht? Ich glaube nicht. Natürlich gibt es einige wenige Läufer, die zu weit pronieren würden, für die Pronationsstützen Sinn machen – nur eben nicht für die breite Masse. Vielleicht verkauft es sich einfach nur besser, wenn man den Kaufpreis mit einer tollen Technologie rechtfertigen kann. Schade nur, wenn die dann mehr schadet, als hilft. Zum „richtigen“ Abrollen beim Barfußlaufen schreibe ich sicher nochmal mehr.
  • Die Zehen werden nicht zusammengedrückt, sondern können sich breit auffächern. Macht euch mal den Spaß und nehmt aus einem Schuh, den ihr oft tragt, die Sohle raus. Dann stellt euren Fuß auf die Sohle. Wie weit stehen die Zehen an den Seiten über die Sohle drüber? So viel Platz bräuchten deine Füße eigentlich – werden aber vom Schuh zusammengepresst. Das tut nicht weh, verändert aber die Statik und die Spannung im ganzen Körper. Wir machen noch ein kleines Experiment: Drück mal deine Finger fest zusammen – komisches Gefühl, oder? Genau das passiert deinen Füßen den ganzen Tag. Vor allem die Position des Großzehs ist durch moderne Schuhe häufig extrem beeinflusst. Der große Zeh steht dann „krumm“ in Richtung der anderen Zenen, vor allem wenn man ihn hochzieht. Dieser sogenannte Hallux valgus zieht häufig Probleme in den Füßen (z.B. Plattfüße), Sprunggelenken (z.b. Knick-Senkfüße), Knien („X-Beine“), Hüften, oder im Rücken nach sich. Was der große Zeh mit der Wirbelsäule zu tun hat? Auch das versuche ich mal anhand von Bildern zu verdeutlichen:
  1. Gutes Beispiel: Der große Zeh steht in einer geraden Linie – wenn man ihn anhebt, läuft die Sehne auf dem Fußrücken gerade nach vorne. Dadurch stabilisiert der Zeh den Fuß sicher nach innen, das heißt der Fuß knickt nicht nach innen weg. Das Fußgewölbe bleibt auch beim Auftreten erhalten, Sprunggelenk, Knie und Hüfte bleiben gerade.
  2. Negativbeispiel: Der große Zeh knickt in Richtung der anderen Zehen. Dadurch fehlt die Stabilisation nach innen, der Fuß „kollabiert“ bei jedem Schritt: Das Fußgewölbe kann sich nicht aufrecht halten, das Sprunggelenk knickt nach innen, genauso das Knie und die Hüfte. Wo es als erstes anfängt weh zu tun, hängt davon ab, an welcher Stelle die Strukturen am schwächsten sind. Oft kann es wirklich auch der Rücken sein, denn auch die Wirbelsäule kann ihre Position nicht halten, wenn die Hüfte weg sinkt. Und dann geht es los: Bandagen fürs Knie, Spritzen in den Rücken und Voltaren gegen die Hüftschmerzen mögen vorübergehend sogar Linderung bringen, bekämpfen aber nur das Symptom. Die Ursache – den bei jedem Schritt kollabierenden Fuß – schaut sich noch nicht einmal jemand an.
Ein gerader Großzeh ist ein stabiles Fundement für alle Gelenke darüber
Wenn der Großzeh Richtung anderer Zehen knickt, kollabieren alle Gelenke der Kette darüber

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Und was tut man nun dagegen???

  • Barfuß laufen!
  • Barfuß laufen!
  • Barfuß laufen!

    Wenn schon Schuh, dann so 😉 Keine Sprengung, super Gefühl!

😀 Spaß. Aber ernst gemeinter Spaß. Lasst die Schuhe so oft wie möglich aus (nachdem ihr euch schlau gemacht habt, WIE man richtig barfuß läuft). Für die Momente, in denen Schuhe unabdingbar sind, gibt es mittlerweile richtig schöne Barfußschuhe. Dicke Empfehlung von mir: Schaut in der Landau Running Company vorbei, da gibt es nicht nur tolle Schuhe, sondern auch super Beratung dazu!

An der Stelle ist mir wichtig zu betonen: Barfußlaufen oder Laufen in Barfußschuhen ist nicht das Non-Plus-Ultra für jede Situation. Zu bestimmten Zwecken sind bestimmte Schuhe nützlich und sinnvoll – auch manchmal mit Fußbett, mit Sprengung, … . Manchmal ist es sinnvoll, die Füße durch Schuhe zu unterstützen und zu schützen. Das Problem ist nur, dass wir uns angewöhnt haben, diese “funktionellen” Schuhe immer zu tragen, womit wir uns auf Dauer keinen Gefallen tun.

Ich habe da natürlich leicht reden, ich kann auch im Job fast immer in Sportsachen (also auch in Barfußschuhen, oder sogar wirklich barfuß) unterwegs sein. Und ob einem der letzte Modeschrei oder gesunde Füße wichtiger sind, kann natürlich jeder für sich entscheiden. Meistens werden die Leute (leider) erst dann umstellen, wenn Schmerzen sie dazu nötigen, etwas zu ändern. Das ist und war ja bei mir genauso. Trotzdem würde ich mich freuen, wenn jemand aus meinen Fehlern lernen möchte, und schon präventiv etwas für seine Füße tut. Und wenn nicht, hilft es euch vielleicht wenigstens, schneller wieder fit zu werden 😉

Über das Barfußlaufen hinaus gibt es jede Menge gezielte Übungen, mit denen man seine Fußmuskulatur kräftigen kann und sollte 😉 Ein paar einfache, effektive Übungen habe ich hier zusammengetragen 🙂

2 thoughts on “Die Füße sind unser Fundament

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert