Achterbahn

„Warum können wir eigentlich nicht an allen Tagen gleich fit sein“, seufzte eine Freundin gestern beim Training – bezogen darauf, dass wir gestern alle beide nicht so richtig auf dem Damm waren.

„Ich bin froh darüber, dass das so ist“, sprudelte aus mir heraus. Echt? Erstaunt hörte ich mir selbst zu. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, der Satz war mir direkt von meinem Unterbewusstsein über die Lippen gerutscht, ohne dabei den Umweg über das Gehirn zu nehmen. Also knipste ich im Nachhinein die Gehirnwindungen dazu, um zu verstehen, warum ich darüber froh bin. Wäre es nicht toll, jeden Tag so fit zu sein wie am fittesten Tag?

Nein! Denn dann würde man den fittesten Tag nicht mehr als solchen erkennen. Diesen superfitten Zustand würde man wenn überhaupt ein paar Tage genießen, dann würde man es als Normalität ansehen und – so gemein ist die menschliche Natur – mehr wollen. Immer mehr. Innerhalb kürzester Zeit wären wir mit dem heute gewünschten Zustand unzufrieden, denn das wäre dann ja schon wieder normal, und wer will schon normal?

Gestern war sogar ein Tag, für den „Jammern auf hohem Niveau“ galt: Wir waren beide weder verletzt noch krank, sondern einfach nur ein bisschen platt. Die Übungen fielen uns schwerer als sonst – na und? Wir konnten sie machen!

Ich glaube, die richtige Dankbarkeit darüber „lernt“ man erst, wenn man eben dies mal nicht mehr konnte. Ein Ziel zu haben, ist super wichtig. Der Weg dahin ist motivierend und schön, und das Erreichen ist ein tolles Gefühl. Aber richtige Demut und Wertschätzung dem gegenüber empfindet man erst, wenn man mal ganz am Boden angekommen war, nachdem man „oben“ war. Wenn man etwas richtig schmerzlich vermisst, unbedingt wiederhaben will, aber weiß, dass man es nicht wieder bekommen wird – jedenfalls erst mal, und nicht in der Ausprägung.

Damit meine ich nicht, dass es nur wenige Menschen gibt, die die „richtige“ Wertschätzung erleben. Im Gegenteil, ich bin mir sicher, dass fast alle (leider!) schon einmal in irgendeiner Form „ganz unten“ waren – in welcher Richtung auch immer. Ob das körperlich oder geistig, gesundheitlich oder beziehungstechnisch, beruflich/schulisch oder welcher Natur auch immer ist, spielt dabei absolut keine Rolle. Das tolle und gleichermaßen miese an der Sache mit der Wertschätzung nach negativen Erlebnissen/Zeiten ist wohl: So intensiv diese Demut und Wertschätzung gegenüber dem, was wieder besser wird, in der ersten Zeit ist, so schnell vergisst man sie auch wieder. Das erscheint mir sinnvoll, denn damit blendet man die schlimme Zeit aus, in der es einem wirklich dreckig ging, und an die man natürlich nicht denken möchte, wenn es wieder aufwärts geht. Aber damit beginnt auch schleichend der „immer mehr wollen“-Teufelskreis auch wieder von vorne.

Mehr wollen ist menschlich. Mehr erreichen gehört hoffentlich für alle dazu – genauso wie Fallen. Freier Fall nach unten zieht einem im ersten Moment buchstäblich den Boden unter den Füßen weg, man weiß kaum noch wo oben und unten ist. Menschen verlieren dabei den Bezug zur Realität, neigen dazu, nur noch den negativen Aspekt zu sehen und dramatisch überzubewerten, ohne die tausend schönen Dinge zu sehen, die bleiben. Freier Fall ist aber auch eine Chance, sich neu zu sortieren, seine Stärken neu zu entdecken, seine Ziele neu zu setzen, und zurückzukommen. Besser, stärker – anders! Und mit dem Wissen, dass das eine immer wiederkehrende Berg- und Talfahrt ist, auf der es mal ein bisschen hoch und runter geht, aber auch mal richtig steil nach oben gehen (yeah!) und genauso abrupt in den Keller knallen kann (outch!). Bitte schnallt euch an – viel Spaß auf der Achterbahn! 🙂

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert