Paradoxon Zeit

Lustigerweise habe ich mich heute mit jemandem über ein ganz ähnliches Thema unterhalten, über das ich gestern geschrieben habe. Dazu ist mir noch etwas eingefallen, das nicht einfach ergänzen, sondern nochmal ein bisschen vertiefen möchte:

Es geht wieder um Menschen, die sich in einer Sache verrennen – wie wir alle ab und zu. Die nur noch eines im Kopf haben – und das rund um die Uhr. Nehmen wir heute mal als Beispiel die Arbeit: Es geht also um Menschen, deren letzter Gedanke vorm Einschlafen und der erste nach dem Aufwachen an die Arbeit „verschwendet“ werden – und die Träume oft gleich mit. Die nicht abschalten können, auch nicht beim Abendessen mit der Familie oder beim Sport. Wenn sie sich überhaupt Zeit dafür nehmen, denn ‚wenn man sowieso die Arbeit im Kopf hat, kann man ja auch gleich länger im Büro bleiben, oder sich zu Hause nochmal dransetzen‘. Objektiv betrachtet wissen diese Leute ganz bestimmt, dass das auf Dauer nicht gesund sein kann. Ich denke, die meisten wissen sogar, dass sie unterm Strich produktiver arbeiten könnten, wenn sie Pausen einlegen und auch mal an etwas anderes denken. Wenn man ununterbrochen über das ein und selbe nachdenkt, verfällt man oft in eine Art Trance und kommt überhaupt nicht mehr weiter. Dass es nicht zielführend ist, stundenlang ein spärlich beschriebenes Blatt anzustarren, ist auch den meisten „Workaholics“ klar. Trotzdem können sie nicht raus aus ihrer Haut, kriegen die Kurve nicht. Selbst wenn sie sich zu einer Pause zwingen würden, bekämen sie dabei den Kopf nicht frei, und würden doch an die Arbeit denken. Da könnten sie auch gleich sitzen bleiben.

Alleine ist es wohl wirklich sehr schwer, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Die gute Nachricht ist: Das muss auch keiner. Dafür gibt es mittlerweile richtig gute Seminare. „Zeitmanagement und effiziente Arbeitsorganisation“ heißen die zum Beispiel. Darin lernt man, wie man sich die Zeit so einteilt, dass auch noch Freizeit übrig bleibt. Stressbewältigung, Entschleunigung, Achtsamkeit – im sehr breit aufgestellten Bereich der Workshops und Seminare findet mit Sicherheit jeder etwas, wovon er langfristig profitiert – in ansprechenden, gut verständlichen Häppchen serviert. So dass man in kurzer Zeit viel mitnimmt, versteht sich.

Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht: Super gestresste Menschen haben natürlich keine Zeit für einen Zeitmanagement-Workshop. Wann sollen sie das denn noch machen, wo sie doch sowieso schon nicht alles unter einen Hut kriegen? Sechs Wochen lang jede Woche einen Abend dafür opfern? Unmöglich! Nein, auch kein Wochenende. Das geht wirklich nicht.

Irgendwie verständlich – und doch so falsch, denn genau für diese Menschen wäre der Workshop doch gedacht! Und wahrscheinlich würden sie die dort hinein investierte Zeit vielfach zurückbekommen, wenn sie dabei tatsächlich lernen, mit ihrer Zeit besser umzugehen.

Dass das gleiche für den Sport gilt, habe ich gestern schon beschrieben. Wer Zeit und Energie in anderes als den eigenen Sport investiert, profitiert langfristig durch eine bessere psychische und physische Verfassung. Angenehme Nebeneffekte sind ein abwechslungsreiches, entspanntes, gesünderes Leben mit mehr Freude an dem, was man tut. Das Schöne daran, wenn man öfter tut, worauf man Lust hat: Man muss viel seltener seinen „inneren Schweinehund“ überwinden. Es schüttet wie aus Kübeln und man hat keine Lust draußen zu trainieren? Kein Problem, dann lässt man es eben! Mit Freunden in der Kletterhalle ‚abhängen‘ ist auch schön – genauso wie Zeit mit der Familie verbringen, ein gutes Buch lesen, oder worauf auch immer man Lust hat.

Klingt simpel, aber ist häufig unbeschreiblich schwer: Besonders disziplinierten Menschen fällt es oft schwer, festzustellen, worauf sie gerade Lust haben. An diese Stelle hat ihre Disziplin ganze Arbeit geleistet: Vor lauter jahrelangem konsequenten Zieleverfolgen geht ihnen das Gespür dafür verloren, was ihnen im Moment gut tun würde. Umtriebigkeit und Unzufriedenheit sind die Folge – und sorgen recht schnell dafür, dass sie wieder dem nachgehen, was sie denken, tun zu müssen. Das ist auch eine Art „innerer Schweinehund“ – und ich finde, mindestens genauso gemein wie der „faule Hund“.

Ich will mit diesen Gedanken das Thema „Leistung“ ganz sicher nicht verteufeln. Leistung kann auch Spaß machen! Lernen, sich verbessern, Erfolgserlebnisse haben führt zu einem Glückshormonfeuerwerk, das man genießen kann, darf und soll. Mir persönlich macht es manchmal richtig Spaß, bei Dreckswetter draußen zu trainieren. Wenn der Wind an den Haaren zerrt und mir der Regen entgegenpeitscht, fühle ich mich frisch und lebendig. An solchen Tagen muss ich meinen inneren Schweinehund nicht überwinden, denn der hüpft ungeduldig vor der Tür auf und ab und will endlich raus.

Schwierig wird es nur, wenn die Leistung zum Zwang wird. Wenn man die Leistungslust längst hinter sich gelassen hat und die internen oder externen (Arbeitgeber, Partner, Gesellschaft, …) Ansprüche so hoch werden, dass sich ein Leistungsfrust einstellt. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der es darauf ankommt, besser als die anderen zu sein, sich durchzusetzen und zu profilieren. Etwas gemeinsam meistern ist out – Ellenbogen einsetzen ist angesagt! Das führt natürlich zu einem enormen externen Druck. Noch gefährlicher schätze ich aber den internen Druck ein, also den, den wir uns selbst machen. Viel zu oft haben wir an uns selbst total abgehobene Ansprüche. Nachsicht lassen wir gerne mal bei anderen walten, bei uns selbst sicher nicht. Da hat mal wieder der innere Kritiker seine Finger mit im Spiel.

Obwohl ich mich schon mehrere Male ausführlich mit diesen Themen beschäftigt habe, holen sie mich doch immer wieder ein. Mir fallen unzählige Situationen ein, in denen ich mich internem oder externem Leistungsdruck gebeugt habe oder mir externe Ziele habe auferlegen lassen. Momente, in denen ich völlig außer Acht gelassen habe, was mir gut tut und ich möchte, und nur noch hinter etwas hergerannt bin wie ein Hund hinter der Wurst – dabei bin ich seit 18 Jahren Vegetarier, und kann mit Wurst absolut nichts anfangen!

Auch wenn ich immer wieder in solche Situationen gerate, werde ich besser darin, sie frühzeitig zu erkennen. Wenn ich merke, dass ich mich verrenne, oder die aktuellen Ansprüche und Ziele gar nicht zu mir passen, schicke ich meinen inneren Kritiker mit den beiden Schweinehunden in den Wald, und sortiere mich in der Zeit. Spannend, was man dabei immer wieder Neues über sich selbst lernt! 🙂

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