Vario delectat

In guten Lebensphasen macht man in der Regel Fortschritte in den Bereichen, in denen man sich Ziele gesetzt hat. Dabei spielt es keine Rolle, ob es um Familiäres/Zwischenmenschliches, Freizeitaktivitäten oder um Berufliches geht – jeder Mensch setzt seine Prioritäten und steckt dann entsprechend viel Energie und Zeit in die jeweiligen Bereiche.

Das klingt auch gut und richtig – schade finde ich nur, dass man sich dabei meistens auf einen Lebensbereich beschränkt. Wer beruflich gerade Vollgas gibt, bei dem muss die Familie einstecken. Wer ambitioniert auf einen Marathon trainiert, sieht seine Freunde wahrscheinlich nur, wenn sie ihn bei einer Trainingseinheit begleiten. (Mit dem Rad, versteht sich. Sonst geht ja der Schnitt kaputt.) Auch innerhalb eines Bereiches läuft man oft mit Scheuklappen durch die Gegend und konzentriert sich nur auf einen ganz schmalen Weg.

Um ein einfaches Beispiel zu geben, bleibe ich mal beim Thema Sport, bzw.  bei „meiner alten Sportart“ Laufen: Man sucht sich einen coolen Lauf trainiert darauf hin, steht an der Startlinie. Die ersten Kilometer machen Spaß, dann beginnt es wehzutun. „Nie wieder“ hat sich wohl schon jeder Läufer während eines Laufes gesagt – nur, um im Ziel alles Leiden zu vergessen, und sich unter den Flyern neben dem Kuchenbüffet das nächste Event herauszusuchen. „Das nächste“ ist dann oft noch ein bisschen verrückter. Mehr Kilometer, mehr Höhenmeter, extremere äußere Bedingungen – mit jeder Vorbereitung wird man ein bisschen besser – aber immer nur im Bereich des Laufens. Klar verirren sich auch Läufer ab und zu ins Schwimmbad, aufs Rad oder ins Fitnessstudio – Stichwort Ausgleichstraining und so. Aber in der Regel arbeitet man an dem, worin man besser werden möchte – und das ist nun mal das, was man sowieso schon am besten kann.

Warum eigentlich? Warum neigen wir Menschen dazu, uns zu verrennen, nur noch eins im Kopf zu haben und alles darüber zu vergessen? Die wenigsten von uns müssen tatsächlich jeden Tag hart für etwas trainieren – wer dieses oder nächstes Jahr an der Tour de France teilnehmen möchte, ist natürlich ausgenommen. Aber alle anderen täten gut daran, sich die Worte meines alten Lieblingslateinlehrers ins Gedächtnis zu rufen: „Vario delectat – Abwechslung erfreut“.

Nicht das stupide, sich ständig Wiederholende macht uns stark, sondern die breite, vielfältige Basis! Ich stelle mir das so vor: Wer immer das gleiche tut, wird genau darin besser. Er baut einen hohen „Leistungsturm“ – aber eben auch einen sehr schmalen. Um wieder beim Sportbeispiel zu bleiben, nehmen wir meinetwegen Ausdauer für einen Marathonläufer. Das geht eine Weile gut – mit Glück läuft er seinen Marathon in persönlicher Bestzeit. Und vielleicht danach noch einen. Aber dann kommt irgendwann ein kleiner Windhauch, eine Verletzung, und der ganze Turm fällt in sich zusammen. Der Läufer kann nicht mehr laufen, weiß nichts mehr mit sich anzufangen, sein Ziel ist weg. Körperlicher und moralischer Kollateralschaden. (Das gleiche gilt für den, der alles in seinen Beruf steckt und dann den Job verliert; den, der nur für die Beziehung lebt, bis diese in die Brüche geht, etc.)

Wer sich hingegen breiter aufstellt, seine Energie nicht immer in das ein und selbe steckt, der baut sich ein breites Fundament. Sicher sind neben Ausdauer hier die anderen motorischen Fähigkeiten (Kraft, Koordination, Beweglichkeit und Schnelligkeit) wichtige Pfeiler für Sportler– aber mindestens genauso wichtig sind andere sinngebende Dinge. Familie, Freunde, Hobbies, Beruf. Beachtet man all das, baut man sich nicht in Rekordzeit einen hohen Turm, und bring nicht nach wenigen Monaten die maximale Leistung, die man aus sich raus kitzeln könnte. Aber man baut eine stabile Pyramide, die nicht umfällt, egal was passiert. Wenn man ein Aspekt Probleme macht oder ausfällt, ist immer noch genug da, was uns auffängt und langfristig stabil hält. Auch wenn es darauf nicht ankommt, bin ich sogar überzeugt, dass die Spitze der breit angelegten Pyramide auf Dauer höher wachsen kann als ein schmaler Leistungsturm.

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