Elf Wochen – das sind fast drei Monate. Genau elf Wochen habe ich auf die Ergebnisse der Untersuchungen des Mainzer Endokrinologen gewartet (hier hatte ich darüber berichtet). Anfangs kam es mir gar nicht wie Warten vor – ich habe das Leben genossen und mir keine Gedanken darüber gemacht. Auch als die „vier bis sechs Wochen“, nach denen ein Brief mit den Ergebnissen bei mir ankommen sollte, vorbei waren, blieb ich entspannt. In dem Artikel „Zeit ist relativ“ von vor knapp drei Wochen war ich mir noch sicher: „Ob, wann und was bei den Untersuchungen rauskommt, wird sich zeigen – daran ändert sich ja nichts, egal ob ich mir einen Kopf darüber mache oder nicht. Also lasse ich das.“ Als dann aber die neunte und zehnte Woche ins Land gingen, wollte ich es schon langsam mal gerne wissen. Also rief ich in der Praxis an. „Tut uns leid, die Ergebnisse aus dem Labor sind noch nicht bei uns eingetroffen“, entschuldigte sich die Sprechstundenhilfe. Am Donnerstag rief ich wieder an – und erwartete die gleiche Antwort. Daher traf mich die Aussage „der Brief ging heute an Sie raus“, völlig unerwartet. Im ersten Moment musste ich über mich selbst lachen: Da rufe ich an, um die Ergebnisse zu erfahren – komme aber nicht damit klar, wenn ich sie tatsächlich bekommen kann.
Leichte Panik stieg in mir hoch. Dann wird es jetzt also in den nächsten Tagen wieder ernst. Was, wenn die Befunde wieder negativ sind? Wenn es die getesteten „Defekte“ wieder nicht sind? Was mache ich dann? Ich habe wirklich keine Ahnung mehr, wo ich noch suchen könnte… . STOPP! Grade noch rechtzeitig fiel mir ein, dass ich mir ja mal anhören könnte, was rauskam – bevor ich mich in den Gedanken reinsteigere.
„Ehm – würden Sie mir schon Mal sagen, was darin steht?“, würgte ich also heraus – in der Erwartung, ein „Nein, darüber darf ich leider keine Auskunft geben“ zu hören. „Ja, sicher, einen Moment bitte!“ – Verdammt! Damit hatte ich mich schon wieder ausgeknockt. Während ich dem Papierrascheln lauschte, versuchte ich mich zu sammeln. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, jetzt Ergebnisse zu bekommen, und war absolut nicht bereit dafür. „Bleib ruhig, egal was jetzt kommt, es bringt dich einen Schritt weiter“, sprach ich mir selbst Mut zu.
„Alle Befunde sind unauffällig. Sie sollen sich in sechs Monaten bitte zur Kontrolle vorstellen. Auf Wiederhören.“
KRACH
Weg war er, der Boden unter meinen Füßen. Dieser „Schritt“ bringt mich höchstens einen Mikrometer weiter. Ach was, noch nicht mal einen Nanometer! Ich habe nichts weiter gewonnen als eine weitere von unendlich vielen Möglichkeiten, die es nicht ist. Wieder platzt die Hoffnung, zu wissen, womit ich es zu tun habe – und was ich (außer Cortison) dagegen tun kann.
Ein gutes hat die lange Geschichte: Ich habe dieses Spiel mittlerweile so oft durch, dass ich schon Strategien zum Umgang damit entwickelt habe. Und außerdem habe ich ein emotional sehr intelligentes Umfeld, das immer die richtigen Worte findet: „Auch wenn das Ergebnis dich nicht weiter bringt – aktuell geht es dir doch gut, oder? Auch wenn es schwer fällt, konzentrier dich darauf!“
Verdammt, das stimmt! Damit ist alles gesagt. Mir geht es sogar super gut! Es ist nur so, dass ich wohl schon wieder “mehr” wollte: Ich hatte gehofft, mich auch ohne Cortison wieder genauso gut zu fühlen.
Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, weiß ich: Wenn das erst mal nicht der Fall sein wird, ist das zwar schade – aber immer noch Tausend mal besser, als wieder so in den Seilen zu hängen wie ohne Cortison! Das Cortison ist mein Freund, der mir vieles ermöglicht, nicht mein Feind, den ich loswerden will.
Und trotzdem muss ich leider zugeben, dass die Tage ab Donnerstag für mich innerlich ein bisschen leer waren – und meine Nächte schlafarm. „Wie weiter?“, auch ohne aktiv darüber nachzudenken, brodelte die Frae in mir. Mein Hausarzt, bei dem ich ab Donnerstagnachmittag Cortisonnachschub besorgte, schlug nochmals vor, meine Untersuchungsergebnisse zu Kliniken für unerkannte Krankheiten zu schicken. Stimmt, das wollte ich ja schon lange getan haben. Was mich bisher davon abgehalten hatte: Ich hatte absolut keine Lust, das alles wieder von vorne aufzurollen.
Trotzdem war mein Plan für Freitag: Alle Ergebnisse nochmal zusammentragen, aktualisieren, und versenden. Dafür musste ich nur die Ankunft des Arztbriefes abwarten. Dass meine Laune den gesamten Freitag über im Keller war, brauche ich wahrscheinlich nicht erwähnen. Ich wollte mich wirklich nicht wieder mit all dem auseinandersetzen müssen, nochmal alles durchdenken, von vorne anfangen. Von daher spielte es mir sogar ein bisschen in die Karten, dass der Brief vom Endokrinologen am Freitag nicht ankam.
Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, deshalb fühlte ich mich auch am Samstagmorgen mies – und das, obwohl sich ja an meiner Konstitution nichts geändert hatte! Mir musste es genauso wie am Donnerstag gehen, und doch fühlte ich mich ganz anders – mental, aber auch körperlich! Es ist immer wieder erstaunlich und beängstigend, welche Rolle die Psyche spielen kann – und was der Kopf alles auslösen kann! Zum Glück ließ ich mir “weiterschlafen” und “durchhängen” nicht durchgehen: Aufrappeln, Rausgehen und Radfahren war die richtige „Therapie“ – und ich danach körperlich und mental schon wieder viel besser drauf.
Heute war der Brief dann da (da die falsche Adresse drauf gestanden hatte, war er bei einem entfernten Nachbarn eingeworfen worden). Ich schlich einige Male daran vorbei, ich wollte ihn nicht ansehen, nicht schwarz auf weiß sehen, dass die Untersuchungsergebnisse unauffällig waren. Aber irgendwann musste ich doch anfangen – heute sollten meine Daten schließlich an die Kliniken gehen, damit ich es abhaken konnte! Ich begann zu lesen: „Die Ergebnisse der genetischen Untersuchung unterstützen die Verdachtsdiagnose. Mutationen in den an…“ – ehm, Moment. WAS? Unterstützen??? Hektisches Weiterblättern. Überfliegen. Genauer lesen. In meinem Kopf rauschte alles. Aber ja, ich war mir sicher. Da stand es, schwarz auf weiß: Drei Untersuchungen waren auffällig, es sind drei (zusammenhängende?) Diagnosen aufgeführt!
Ob mir die Sprechstundenhilfe aus einem falschen Brief vorgelesen hat, oder die Ergebnisse falsch interpretiert hat – keine Ahnung, ist mir auch völlig egal. Das einzig Wichtige: Es gibt ihn scheinbar endlich, den Grund für die zweijährige Abwärtsspirale, und damit ganz eventuell sogar einen Ansatz für sinnvolle, möglichst nebenwirkungsarme Therapiemöglichkeiten.
Ich sitze mit meiner Familie am Tisch und weiß gar nicht wohin mit mir. Ich habe mich so innerlich gegen die negativen Gedanken, die ich durch den Brief vermutet habe, gewappnet, dass auch die jetzt angebrachten positiven Gedanken und Gefühle es kaum zu mir durch schaffen. Was mich stattdessen überkommt: Müdigkeit! Und zwar mit voller Breitseite! Die letzten drei Nächte habe ich wenig geschlafen, bzw. wenn, dann unschöne Sachen geträumt. Scheinbar wurde meinem Unterbewusstsein in diesem Moment klar, dass ich jetzt wieder ruhig schlafen kann – und das habe ich dann auch erst mal ausgiebig gemacht.
Was das alles jetzt bedeutet, weiß ich noch absolut nicht. Weder, was ich genau „habe“ (oder auch nicht habe), noch, was man dagegen tun kann. Ich werde mich in die sehr komplexe Thematik so gut ich kann einlesen – um den Arztbrief zu verstehen, um aus der Besprechung desselben so viel Informationen wie möglich mitnehmen zu können, und die für mich wichtigen Fragen stellen zu können. Ab morgen. Heute genieße ich erst mal meine wieder gewonnene innere Ruhe.
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