Am Donnerstag war ich bei einem „neuen Arzt“, also einem, bei dem ich bisher noch nicht war. Nicht nur der Arzt war neu, sondern auch seine Ansichten – wieder vieles neu und von einem anderen Aspekt betrachtet. Im ersten Moment war ich erschrocken, aber unterm Strich klingt sein Verdacht vernünftig und langfristig betrachtet auch vielversprechend.
Der Arzt selbst meinte nach 45 Minuten: „Jetzt hab ich ihnen eine Privatvorlesung gehalten“. So fühlte ich mich auch. Ich versuchte, den Input aufzusaugen wie ein Schwamm, um es dann im Nachhinein in Ruhe verarbeiten zu können. In der Hoffnung, alles richtig verstanden zu haben, sortiere ich es jetzt an dieser Stelle:
Zuerst einmal fragte er mich, was ich bei ihm wolle. Der Arzt ist ein Endokrinologe, der auf Gentests spezialisiert ist. Meinen Fall sieht er eher im rheumatischen Formenkreis. In seinen Augen gibt es sogar einen eindeutigen Verdacht: Polymyalgia Rheumatica. Das Fiese an dieser Krankheit: Es gibt Anhaltspunkte, wie sie anhand des Blutbildes diagnostiziert werden kann. Allerdings sind die Abweichungen des Blutbildes nicht bei allen Patienten gleich. Manchmal sieht man es sogar überhaupt nicht im Blutbild – das nennt man dann subklinischen Verlauf. Eine solche Form vermutete der Arzt bei mir aufgrund meiner Schilderungen des Krankheitsverlaufs. Die Tatsache, dass Cortison bei mir sehr schnell und gut anschlägt, verstärkt seinen Verdacht. Viele liebe Menschen mit großem Fachwissen haben mir bereits vor Monaten das Gleiche gesagt. Allerdings ist leider keiner davon ein in Deutschland praktizierender Arzt, und demnach konnte mich auch keiner behandeln. Warum der Rheumatologe, bei dem ich im Januar war, diesen Verdacht strikt von der Hand wies, konnte der Endokrinologe nicht nachvollziehen. Aber egal, denn glücklicherweise war ich ja vor sechs Wochen bei dem Orthopäden in Mainz, der als zweite Idee den gleichen Verdacht hatte – und mir deshalb erst einmal auf Verdacht das Cortison anordnete.
Die erste Idee des Orthopäden war jedoch ein Vitamin-D-Rezeptormangel. Ob ein solcher vorliegt, kann nur durch einen Gentest bestätigt werden, weshalb er mich zu dem Endokrinologen überwiesen hatte. Dieser sah mich, mit dem Verdacht konfrontiert, sehr perplex an, und wollte wissen, wie ich auf diese Idee käme. Scheinbar passen meine Symptome so gar nicht dazu. Ich erklärte, dass es sein Freund und Kollege war, der auf die Idee gekommen sei, und warum: Mein Vitamin-D-Spiegel ist trotz monatelanger, sehr hoher Substitution (weit über den üblichen täglichen Einheiten) noch nicht einmal im unteren Normalbereich angekommen. „Da hat der Kollege mal wieder die Gene verwechselt. Na, was solls, ist ja auch ein Orthopäde“, lachte der Endokrinologe – und erklärte mir, dass es sich in diesem Fall wenn um eine Aufnahmestörung im Verdauungstrakt handele. Auch diese wird über einen Gentest nachgewiesen. Soll mir also gleich sein.
Beide erzählten mir in diesem Zusammenhang von einer Frau in meinem Alter, die als Architektin immer auf den Dächern ihrer Häuser herumflitzte, und dann von einem auf den anderen Tag kein Stockwerk mehr nach oben gehen konnte. Mit der richtigen Substitution von Vitamin D (über Spritzen, da es im Verdauungstrakt ja nicht aufgenommen werden kann) war sie nach wenigen Wochen wieder ganz die Alte. Ich hoffe, dass ich das gleiche habe :-).
Zuerst hielt der Arzt das für nicht sehr wahrscheinlich, und glaubte eher noch an seine Polymyalgie Rheumatica-Hypothese. Durch einen Zufallsbefund änderte er seine Meinung:
Wenn man Cortison über längere Zeit einnimmt, wird die Knochendichte gemessen, da Cortison diese negativ beeinflussen kann. Obwohl ich erst seit sechs Wochen Cortison einnehme, ist meine Knochendichte ist im unteren Grenzbereich. Ich bin eigentlich ganz und gar kein „Risikopatient“ für Osteoporose: Ich rauche nicht, bin nicht in den Wechseljahren, nicht über 50 Jahre alt, nicht selten an der Sonne, bin kein Bewegungsmuffel und nehme genügend Calcium zu mir. Der Einnahmezeitraum des Cortisons ist bisher zu kurz, um schon gravierende Veränderungen hervorgerufen zu haben, deshalb wird meine Knochendichte schon vor der Cortisoneinnahme so niedrig gewesen sein.
Woher könnte das kommen? Ein zu niedriger Vitamin-D-Spiegel ist ein Risikofaktor für Osteoporose. Ich nehme davon zwar ausreichend zu mir und bin auch viel in der Sonne, aber wenn ich eine Aufnahmestörung hätte, könnte diese über kurz oder lang sehr wohl zu einer niedrigen Knochendichte führen.
Deshalb rief mich der Arzt nach der Knochendichtemessung nochmal zu sich rein, erklärte mir, dass er noch ein paar Ideen habe, mit denen er mich aber noch nicht verwirren wolle. Er teste das jetzt und in ca. sechs Wochen würden mir die Ergebnisse zugeschickt. Dann solle ich nochmal zu ihm kommen.
Langfristig könnte ich also im besten Fall zu Gunsten des Vitamin D das Cortison reduzieren bzw. weglassen. Wenn ich es länger nehmen muss, wäre es gut, im Halbjahresmittel unter 5 mg/Tag zu kommen, da ich mich damit unterhalb der „Cushing-Schwelle“ bewege. Was das genau bedeutet, ist erst einmal egal, da es im besten Fall bald nicht mehr relevant ist.
Bis dahin soll und darf ich das Cortison nehmen, und mich mehr bewegen, damit meine Knochen stabil bleiben. Mehr bewegen? Klingt super!! Die Frage, ob es Grenzen gebe, verneinte er. Alles, was mir gut tut, ist erlaubt.
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